Antisemitismus

Umgang der Fanszene 1907 mit Antisemitismus

(Stand: Dezember 2023)

Hintergrund dieser Veröffentlichung

Am 7. Oktober 2023 griffen Anhänger der radikal-islamistischen Hamas und des Islamischen Jihads Israel und seine Bewohner*innen an. Neben tausenden von Raketen auf das israelische Staatsgebiet drangen hunderte Terroristen in verschiedene Orte und Kibbuzim ein. Dabei vergewaltigten, verletzten und töteten sie über tausend Jüdinnen* und Juden* und entführten zudem über 200 Menschen nach Gaza.

Am 8. Oktober positionierten wir uns mit drei Spruchbändern bei unserem Auswärtsspiel zu den Vorkommnissen: „In Gedenken an die Betroffenen des islamistischen Terrors!“, „Nieder mit der Barbarei!“ und „Solidarität mit der jüdischen Community weltweit!“.

In diesem Zusammenhang stellten wir fest, dass innerlinke Debatten bezüglich einer Positionierung in diesem Konflikt auch in unserer Gruppe aufflammten. Neben allen Emotionen mussten wir uns eingestehen, dass ein Ignorieren und Totschweigen vermeintlicher Differenzen uns als Gruppe schaden würde. Somit stand für uns außer Frage, dass wir für uns einen Umgang mit Antisemitismus finden müssen und damit auch in eine inhaltliche Auseinandersetzung miteinander zu gehen haben.

Infolgedessen nutzten wir die Winterpause, um uns auf Schwerpunkt-Treffen mit den Themen „Formen von Antisemitismus“, „Antisemitismus und (Amateur)-Fußball“ und „Umgang mit Antisemitismus“ auseinanderzusetzen. Ziel war es, für uns festhalten zu können, was dies alles für uns bedeutet und eine Position zu finden, nach der wir zukünftig unser eigenes Handeln ausrichten.

Was ist Antisemitismus?

Bezüglich einer Definition von Antisemitismus gibt es zahlreiche Diskussionen und Bestimmungsmodelle. Wir sind uns dessen bewusst, dass es keine allgemein gültige Begriffsbestimmung gibt, da sich Formen und Erscheinungsarten von Antisemitismus in einem stetigen Wandel befinden. Unsere Auseinandersetzung mit diesem Thema bedient sich hierbei einer der inzwischen gängigsten Definitionen, die von vielen (jüdischen) Institutionen verwendet wird. Wir wissen um die Tatsache, dass auch diese, wie jede andere politische Theorie, nicht widerspruchsfrei ist, jedoch halten wir die Aspekte der IHRA1-Definition für unseren Umgang mit Antisemitismus am sinnvollsten.

Die Expert*innen des IHRA-Ausschusses für Antisemitismus und Holocaustleugnung erarbeiten einen internationalen Konsens über eine Arbeitsdefinition von Antisemitismus. Damit hat die IHRA ein wichtiges praktisches Instrument bereitgestellt und bietet eine Möglichkeit, dem Anstieg von Hass und Diskriminierung zu erkennen und entgegenzuwirken:

„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“2

Antisemitismus ist kurz gesagt Judenfeindschaft. Dabei werden seit Jahrhunderten Jüdinnen*Juden Eigenschaften unterstellt, aufgrund derer sie diskriminiert werden können. Dazu gehören Geldgier, Boshaftigkeit und die Schuld für alles Schlechte, für das Übel der Welt verantwortlich zu sein. „Die Juden“ sollen die heimlichen „Strippenzieher“ sein und Politik und Weltwirtschaft kontrollieren. Anders als bei rassistischer Diskriminierung, wo „die Anderen“ als minderwertig dargestellt werden, werden Jüdinnen*Juden im Antisemitismus nicht nur als minderwertig, sondern auch als übermächtig und überlegen vorgestellt. Antisemitismus gipfelte im Nationalsozialismus im Holocaust bzw. der Shoah (Hebräisch für „Katastrophe“, die jüdische Bezeichnung für die systematische Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen*Juden).

Antisemitismus drückt sich in unterschiedlichen Erscheinungsformen aus. Die Antisemitismusforschung unterscheidet beispielsweise zwischen Antijudaismus, modernem Judenhass, Schuldabwehr-Antisemitismus, strukturellem Antisemitismus und israelbezogenem Antisemitismus.3

Aufgrund dieser wissenschaftlichen Tatsachen wird die Arbeitsdefinition der IHRA durch viele Institutionen inzwischen um folgenden Aspekt erweitert und spiegelt dabei die Verschiedenartigkeit des Antisemitismus sachgerecht wieder:

„Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“

Dadurch, dass hierbei auch der Fokus auf den Staat Israel gelenkt wird, wird ermöglicht, auch antisemitische Äußerungen oder Taten in Zusammenhang mit Israel als antisemitisch zu erkennen und als solche zu benennen. Um dabei nicht die legitime Kritik an Handlungen israelischer Politiker*innen zu verunmöglichen, wurde der so genannte 3D-Test hinzugezogen. Dieser Test stellt drei Kriterien bereit: Wenn Aussagen Israel dämonisieren, delegitimieren oder an Israel doppelte Standards angelegt werden, dann sind diese antisemitisch.

In der Verbindung mit der IHRA-Definition ergeben sich hierbei fünf Anwendungsmerkmale:

• Aberkennung des Existenz- und Selbstbestimmungsrechts Israels

• Vergleich bzw. Gleichsetzung Israels mit dem Nationalsozialismus

• Anlegen anderer Maßstäbe an Israel als an andere Länder

• Verantwortlich machen von Jüdinnen*Juden aus aller Welt für das Regierungshandeln Israels

• Bezugnahme auf Israel oder Israelis mit antisemitischen Bildern, Symbolen oder Floskeln4

Antisemitismus im Fußball

Fußball gilt als Sport, der Menschen aus verschiedenen soziokulturellen und religiösen Hintergründen zusammenbringt. Doch auch hier zeigt sich das gesamtgesellschaftliche Problem des Antisemitismus. Anhand einiger Beispiele wollen wir aufzeigen, wie sich Antisemitismus im Fußball zeigt und welche Formen er dabei annimmt.

Ganz offen stellten Spieler und der Trainer der Amateur-Mannschaft von CFC Hertha 06 ihren Judenhass zu Schau. So kam es zu antisemitischen Beleidigungen der Spieler gegen die Spieler des gegnerischen Teams, dem jüdischen Verein TuS Makkabi. Der Trainer, der Vater einer der Hertha 06-Spieler, kommentierte die Beleidigungen, indem er betonte, dass „[s]ein Sohn […] sein Leben lang die Juden hassen” werde.5

Etwas subtiler zeigt sich die „antisemitische Ressentimentkommunikation“ bei der Kritik an dem deutschen Profifußball-Verein RB Leipzig. So wichtig und angemessen ein Diskurs rund um die Kommerzialisierung des Fußballs zu sein scheint, so führt in der Praxis eine unsachgemäße Kritik zur Festigung antisemitischer Ressentiments bis in die Mitte der Gesellschaft. So wird der Verein von Kritiker*innen häufig mit dem Wort „Ratten“ gleichgesetzt oder das Kommerzielle, Wurzellose und Moderne, das im Fußball nichts zu suchen hätte, diesem Verein zugeschrieben. Dabei wird der Verein als das eine zerstörerische Element der heilen Fußballwelt manifestiert. Diese Kritik folgt dabei (un)bewusst klassischen stereotypen Zuschreibungen zu Jüdinnen* und Juden*.6

Ein Beispiel des Sekundären Antisemitismus zeigte sich bei dem Spiel zwischen dem FC Gütersloh und der Hammer SpVg. Während des Spiels zündeten Fans mehrere Rauchtöpfe und forderten per Spruchband die Freilassung Ursula Haverbecks. Haverbeck relativierte und leugnete in der Vergangenheit mehrfach den Holocaust und gilt als Ikone rechter AntisemitInnen – so auch den sich damals Solidarisierenden.

Aber auch in Hannover wurde sich in der Vergangenheit antisemitisch positioniert. So schmückte zu der Zeit, als die Ultras von Hannover 96 die erste Mannschaft boykottierten und die Amateure des Vereins im Beekestadion supporteten, folgende Fahne ihren Zaun: Ein weißer Schriftzug „h.amas“, der auf schwarzen Hintergrund im Stile der Flagge des Islamischen Staates gemalt wurde. Mit dem Wortspiel (Abkürzung für Hannover-Amateure) erfolgte sichtbar eine positive Bezugnahme auf den Vernichtungsantisemitismus der islamistischen Hamas, der sich gegen den Staat Israel und seine Bewohner*innen richtet.7

Unsere Positionen

Als strömungsübergreifende linke Gruppe vertreten wir unterschiedliche Meinungen zu vielen politischen Streitfragen. Dies halten wir für wichtig und nutzen dies, um unsere gemeinsamen politischen Positionen auszuloten.

Wir positionieren uns, ob in Fußballstadien oder abseits dieser, in unseren Aktivitäten als Antifaschist:innen gegen jegliche Form von Antisemitismus. Zudem verbindet uns als antifaschistische Fußballgruppe die Maxime, dass das Existenzrechts des einzig jüdischen Staates Israel als einziger Schutzraum für Jüdinnen* und Juden* notwendig ist.

Die Begründung dieses politischen Anspruchs liegt in unserem Selbstverständnis als Antifaschist*innen: Wir ziehen Lehren aus dem größten, industriellen Massenmord an Jüdinnen* und Juden* und folgen dem daraus resultierenden kategorischen Imperativ, unser „Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe!8

Entsprechend sind wir solidarisch mit allen Jüdinnen* und Juden*: Ob in Israel, Deutschland oder weltweit!

Diese Positionierung zu Antisemitismus ist nach Stand Dezember 2023 noch nicht abgeschlossen, aber ein Ergebnis mit dem die Fanszene 1907 zukünftig ihre (Fan-)Aktivitäten begleiten möchte. Der Anspruch ist zudem, das eigene Handeln und gemachte Erfahrungen zu reflektieren, mit Betroffenen in Austausch zu treten und dadurch unsere Positionen anzupassen und weiterzuentwickeln.

Für Rückfragen oder Anmerkungen wendet euch gerne an unsere E-Mail-Adresse oder sprecht uns an.


  1. International Holocaust Remembrance Alliance ↩︎
  2. https://www.holocaustremembrance.com/de/resources/working-definitions-charters/arbeitsdefinition-von-antisemitismus ↩︎
  3. Weitere Informationen zu einzelnen Arten des Antisemitismus: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2022/10/antisemitismus-einfach-erklaert.pdf ↩︎
  4. Monika Schwarz-Friesel und Jehuda Reinharz: Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert. Berlin: De Gruyter 2013, S. 203f. ↩︎
  5. https://www.rbb24.de/sport/beitrag/2023/06/fussball-oberliga-berlin-hertha-06-makkabi-antisemitismus-sperre-cakir-sport-inside.html ↩︎
  6. Pavel Brunssen: Antisemitismus in Fußball-Fankulturen. Der Fall RB Leipzig. Weinheim: Beltz 2021. ↩︎
  7. https://www.swg-fotos.de/saison-279/spieltag-289 ↩︎
  8. Theodor W. Adorno: Negative Dialektik. Jargon der Eigentlichkeit. Berlin: Suhrkamp 1997, S. 358. ↩︎